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  • Peter van den Ende im Interview

    Mit seinem „Treiben lassen“ nimmt uns Peter van den Ende in fantastischen, detailreichen Bildern mit auf eine Fantasiereise ganz ohne Worte. Im Interview erzählt der Illustrator mehr zur Entstehung und den Hintergründen.

    Lieber Herr Van den Ende, „Treiben lassen“ ist ein atemberaubendes Debüt. Die 60 Bilder, die ganz ohne Text auskommen, entführen den Betrachter in eine phantastische Welt über- und unterhalb der Wasseroberfläche und ziehen ihn mit ihrem Detailreichtum und ihrer Bildgewalt in den Bann. Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?

    Peter Van den Ende: Ungefähr drei Jahre.

     

    Wie kam Ihnen die Idee zur Geschichte des kleinen Papierboots, das allein über den Ozean segelt?

    Peter Van den Ende: Vor langer Zeit bat mich meine beste Freundin Lune (der das Buch auch gewidmet ist), ihr etwas aus meiner Welt zu zeichnen, das sie über ihren Schreibtisch hängen könnte. Ich habe sie gemalt, in einem Papierbötchen auf dem Ozean, mit einem bizarren Ozeandampfer im Hintergrund. Damals habe ich das Papierboot nicht als eine eigenständige, lebendige Figur gesehen. Das kam erst sehr viel später, als ich ungefähr 27 Jahre alt war.

    Man kann sich sehr klein in der Welt fühlen, wenn man nach seinem eigenen Platz darin sucht. Ich wollte diese Fragilität ausdrücken, indem ich ein Papierboot zu einem lebendigen Wesen machte, das ich auf einen turbulenten Ozean hinausschickte. Das Papierboot musste deshalb sehr mutig sein, denn Unsicherheit oder Zerbrechlichkeit sollten niemals ein Grund dafür sein, etwas, das uns schwierig erscheint, nicht zu wagen.

     

    Woher kam die Inspiration zur Gestaltung der Szenerien, Wesen und Maschinen, die dem kleinen Boot auf seiner Reise begegnen?

    Peter Van den Ende: Egal wie unwahrscheinlich es scheint, alles ist inspiriert von der wirklichen Welt. Einige Ideen stammen von den Dingen, die ich fühle, liebe, mir wünsche oder die ich erlebe. Jedes Kapitel in „Treiben lassen“ hat ein Thema. Zum Beispiel geht es beim Korallenriff um die Liebe zur Vielfalt, beim Mangrovenwald um Neugier, beim Südpol um Einsamkeit, bei der Verschmutzung um Frustration, beim Sinken auf den Meeresgrund um… manchmal ist es schwierig, die richtigen Worte für das Thema eines Kapitels zu finden.

    Andere Ideen sind eine Mischung aus Fakten und Erlebnissen, die in eine fantastischere Version der Realität verwandelt sind. Der zwölfköpfige Leguan (das drachenartige Wesen in den Mangroven) ist ein gutes Beispiel. Der Grüne Leguan ist eine invasive Art auf den Kaimaninseln  [Peter Van den Ende lebte und arbeitete auf den Kaimaninseln als Naturführer], die die einheimische Tierwelt bedrohen. Das ist natürlich nicht ihre Schuld; Menschen brachten sie vor langer Zeit dorthin. Deshalb habe ich sie nicht einzeln gemalt, sondern habe sie zu einem einzigen Tier verschmolzen und ihm Flügel gegeben, um zu zeigen, dass es von einem anderen Ort gekommen ist. Ich wollte es außerdem zugleich sonderbar und freundlich machen, um anzudeuten, dass man sich nicht vor etwas fürchten sollte, nur weil es anders aussieht.

    Das Anglerfischmonster mit dem Fernseher als Lampe ist eine skurrilere Figur. Auf den Kaimaninseln hatte ich keinen Fernseher. Dabei wurde mir klar, dass man nicht besonders viele Momente erlebt, an die man sich erinnert, wenn man die Abende ständig vor dem Fernseher verbringt. Manchmal fühlt man sich einfach mies, wenn man nur auf der Couch sitzt und nichts tut. Ich habe sehr viel Zeit damit verbracht, nachts zu schnorcheln, zu zeichnen und Freunde zu treffen.

    Die Fischmenschen sind angelehnt an einige meiner liebsten Fische auf den Kaimaninseln. An einige habe ich schöne Erinnerungen, wie an Flughähne. Im Buch sind das die fliegenden Fischmenschen, die in der Mitte und am Ende vorkommen. Einmal, als ich nachts schnorcheln war, bin ich bis auf den Grund getaucht und ein Flughahn kam zu mir und hat sich sogar an meinem Arm ausgeruht. Das war eine Begegnung, die ich sehr genossen habe!

     

    Welche Technik haben Sie für die Bilder verwendet und warum haben Sie diese Technik gewählt? Was fasziniert Sie daran?

    Peter Van den Ende: Ich habe mit schwarzer Tusche, einem Federhalter und einem Tuschezeichner auf Papier gearbeitet. Manchmal werde ich gefragt, warum ich die farbenfrohe Unterwasserwelt in Schwarz und weiß verwandelt habe. Dafür gibt es einen guten Grund. Als ich noch klein war (ungefähr zehn Jahre alt), habe ich die Original-Kupferstiche von Edouard Riou und Alphonse de Neuville in den Jules-Verne-Büchern entdeckt. Vor allem die Illustrationen von „20.000 Meilen unter dem Meer“ haben mich fasziniert. Ich habe sie so geliebt, dass ich sogar darüber nachgedacht habe, sie aus meiner Schulbücherei zu stehlen. Aber dafür war ich zu brav. Jahre später habe ich sie in einem Antiquariat gekauft. In „Treiben lassen“ wollte ich das Gefühl ehren, dass diese Illustrationen mir gegeben haben, als ich ein zehnjähriger Junge war. Um mich vor den beiden Illustratoren zu verneigen, habe ich die beiden Ozeandampfer am Ende des Buches „Riou“ und „Neuville“ genannt. Diese beiden Künstler waren eine sehr große Inspiration.
     

    Die Bilder sind unglaublich detailreich und durchkomponiert. Wie sind Sie beim Zeichnen vorgegangen? Wie haben sich die Geschichte und jedes einzelne Bild entwickelt? Planen Sie jedes Bild vorher oder lassen Sie ihrer Hand beim Zeichnen freien Lauf? Wie lange arbeiten Sie an einem einzelnen Bild?

    Peter Van den Ende: Ich wusste, wo die Geschichte beginnen und wo sie enden würde. Fast alles, was dazwischen kommt, fühlte sich wie eine wahre Reise an. Bis auf ein paar Ausnahmen wusste ich nicht wirklich, was ich mir vorstellen und zeichnen würde. D.h. das Vorstellen an sich war ein sehr spontaner Prozess. Das Vorgestellte zu Papier zu bringen, war hingegen nicht immer so spontan. Einige Wesen, Maschinen und Unterwasserlandschaften haben sehr viele Entwürfe und Kompositionen benötigt. Wenn ich eine gute Komposition mit Bleistift hatte, konnte das Zeichnen mit Tusche beginnen. Das Zeichnen und Entwerfen kann ein sehr frustrierender Prozess sein, aber ein Bild zu beenden und es mit der Geschichte zu verbinden, macht es das wert.
     

    Ein kleines Papierboot, das auf seiner Reise über den Ozean wundervolle Welten durchsegelt,  phantastischen Wesen begegnet, aber auch Gefahren überstehen muss – Was bedeutet die Geschichte für Sie?

    Peter Van den Ende: Jeder muss seine eigene Bedeutung in der Geschichte finden, deshalb will ich hier gar nicht so genau ins Detail gehen. Die Welt, die ich in „Treiben lassen“ erschaffen habe, ist eine Welt voller Symbole, hinter denen ich mich gut verstecken könnte (z.B. das Ende des Buches).
    Aber ich kann Ihnen das verraten: Das Papierboot ist keine „Ich, ich, ich“-Figut, sondern gerade das Gegenteil. Es stiehlt niemals die Aufmerksamkeit des Betrachters. Es ist eine Figur, die sagt: „Schau dir die Welt um mich herum an.“ Die Welt dreht sich nicht um das Boot. Es ist nur ein kleines Teilchen dieser Welt. Das ist wahrscheinlich mein Lieblingsaspekt des Buches.
     

    Sie haben Biologie studiert und arbeiten als Naturführer auf den Kaimaninseln. Wie sind Sie zum Zeichnen gekommen?

    Peter Van den Ende: Mit dem Malen habe ich begonnen, sobald ich einen Wachsmalstift halten konnte, und seitdem habe nicht mehr damit aufgehört. Nicht mal, als ich Biologie studiert habe. Das hat mich zu einem eher schlechten Studenten gemacht. Ich konnte selten für mehr als zehn Minuten aufpassen und meine Blöcke waren immer voll mit Skizzen. Meine beste Freundin Lune hat mir oft gesagt, ich solle in der Uni besser aufpassen. Es war gut, dass ich abschreiben konnte, was sie mitgeschrieben hat…

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