Wie das Camp der Unbegabten entstand
Autoreninterview
Das erste Kapitel von Das Camp der Unbegabten als Anti-Origin-Story
Die meisten Superhelden haben ihre ganz eigene Origin-Story. Das Ereignis, das sie zu jenen macht, die sie dann sind, so wie der Spinnenbiss für Spiderman. Die Origin-Story steht ganz zu Beginn, doch was wäre, wenn sie nicht funktioniert?
Was, wenn du zwar von der radioaktiven (genetisch veränderten?) Spinne gebissen wirst, dich aber trotzdem nicht in Spiderman verwandelst, sondern die Wunde einfach nur anschwillt und es höllisch juckt? Du hast den ganzen Ärger, bist aber immer noch kein Held?
Dann bist du im falschen Film gelandet, wie man so schön sagt. Und damit herzlich willkommen im Camp der Unbegabten!
Die Welt im Roman
Menschen mit übernatürlicher Begabung existieren, und sie werden als Stars verehrt. Doch die allerwenigsten von ihnen bekämpfen Verbrechen, viele werden einfach Influencer und reich. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass einige Begabungen nicht sonderlich heroisch sind. Fliegen, das ja, übermenschliche Stärke auch, aber wie hilfreich ist es, in Frequenzbereichen zu singen, die für Menschen nicht wahrnehmbar sind? Ein perfektes Frühstücksei mittels Gedankenkraft zu kochen? Einen Nagel mit der bloßen Faust in die Wand zu schlagen? Letztes verhilft immerhin zu einem lukrativen Werbevertrag mit einem Baumarkt.
Ein Haufen „Helden“, die allesamt keine wirklichen Helden sind. Aber als Autor machte es unheimlich viel Spaß, mir solch abseitige Begabungen auszudenken und den Figuren dann noch besondere „Begabtennamen“ und eine Marketingmaschinerie zu verpassen.
Niemand weiß, woher diese Begabungen kommen. Sicher ist nur, dass sie vor etwa 20 Jahre zuerst auftauchten, und dass eine Begabung nur zwischen 11 und 17 Jahren entwickelt werden kann. Allem Anschein nach völlig zufällig, doch niemand will „puren Zufall“ als Erklärung und Origin-Story akzeptieren, und so werden zahlreiche Theorien zur Herkunft der Begabungen entwickelt. Durchdachte und – nun, ja, sagen wir mal, weniger durchdachte.
Und schon bald wird mit den Theorien Geld gemacht, mit seltsamen Ernährungstipps oder Hypnosesitzungen, die angeblich im Unterbewusstsein schlafende Begabungen wecken.
Eine Anti-Origin-Story
Bjarne, ein (fast) 14-jähriger Junge und meine Hauptfigur, träumt vom Fliegen. Das hat er nicht von den Eltern, sondern von seinem Autor, der tut das auch. Vielleicht auch noch von Unverwundbarkeit, aber das nur am Rande ...
Bjarne, angestachelt von einer der unzähligen Theorien, steht spät abends mit seinem besten Freund Luca auf einer Brücke über die Wertach, um hinabzuspringen und zu fliegen. Eine Brücke, über die ich als Jugendlicher selbst hin und wieder geradelt bin, die ich mochte, weil ihre Bohlen so lustig ratterten, eine Brücke, die ich für den Roman natürlich trotzdem verändert und auch höher gemacht (17 m 42) habe, weil in Heldengeschichten alles höher und größer ist.
Bjarne steht also oben, es ist dunkel, beginnt zu regnen und ist unangenehm kühl. Die Freunde halten zusammen und überwinden ihre Angst. Eigentlich die perfekte Szenerie für eine Origin-Story. Doch sie springen und – ihr habt es sicher erraten – fliegen nicht.
Sie klatschen ins Wasser, Bjarne bricht sich auch noch den Fuß, bekommt einen Krampf, ertrinkt beinahe und holt sich statt einer Begabung eine fiese Erkältung mit Fieber und allem. Wenn es schon schiefgeht, dann richtig, was ist von einem Roman mit „Unbegabten“ im Titel schon anderes zu erwarten?
Ein völliger Fehlschlag also, die Verdrehung einer klassischen Origin-Story – und noch lange nicht der letzte Fehlschlag für Bjarne. Und doch der Auftakt für viel mehr. Denn sein Traum vom Fliegen besteht natürlich weiterhin, und den gibt er nicht so rasch auf. Und auch ohne Begabung kannst du in Geschichten verwickelt werden, mit denen du nicht gerechnet hast.
Besonders dann, wenn dein Autor beschlossen hat, es dir nicht leicht zu machen ...