Im Gespräch mit Antonia Michaelis
Liebe Frau Michaelis, ihr Roman "Weil wir träumten" wirft einen Blick hinter das, was den Tourist*innen, uns westlichen Besuchern, die auf die Insel kommen, meist verborgen bleibt. Was ist Ihr Blick und Ihr Bezug zu Madagaskar?
Wir haben ja zwei Jahre dort gelebt und also auch andere Dinge gesehen als Touristen. In den Schulferien der Kinder sind wir dann quasi Touristen geworden, waren auch am Meer und u.a. auf der Insel, die im Buch beschrieben wird. Der Blick der anderen Touristen dort auf Madagaskar kam uns sehr seltsam vor, wenn sie von Menschen sprachen, die "arm, aber glücklich" waren. Mein Mann hat als Arzt dort in einem Forschungs- und Weiterbildungsprojekt gearbeitet und ist viel über Land gefahren, ich habe eine Schule mit aufgebaut und Bettelkinder integriert, teilweise während Corona mit Vitaminen gefüttert und bekocht ... Da hat man schon einen anderen Blick.
Wie kam es zu der Idee, dem Wunsch, Ihre persönlichen Erfahrungen in einem Jugendroman literarisch umzusetzen?
Hoppla, vielleicht habe ich das eben quasi schon mitbeantwortet. Man hat als Mensch "hinter den Kulissen" bisweilen das unbedingte Bedürfnis, den Touristen ihre "pittoreske Armut" um die Ohren zu hauen und sie mit einer Hibsikusblüte zu erschlagen. Stattdessen habe ich ein Buch geschrieben, das ist netter.
Ihren Roman erzählen Sie aus den zwei Perspektiven der beiden Hauptfiguren Emma und Fy - zwei junge Frauen, die aus völlig unterschiedlichen Welten stammen und die Sie sehr authentisch zeichnen. Hatten Sie hier reale Vorbilder?
Ja und Nein. Beide sind eine Mischung aus Menschen die ich kenne mit Lebensgeschichten, die ich kenne. Das gelbe Haus gibt es so nicht, aber die große Angst vor organhandelnden Weißen schon.
Ihr Roman entwickelt zu Mitte des Buches eine unglaubliche Dynamik. Fast atemlos verfolgt man die Handlung und ist erschüttert von dem, was Fy Emma offenbart – eine Schicksalsgeschichte, die alles andere als ein Einzelschicksal für die Einheimischen, insbesondere für die Kinder Madagaskars, ist. Wie haben Sie vor allem diesen Teil des Buches geschrieben, was war die Herausforderung dabei?
Damals war ich noch in Madagaskar. Das Herausfordernste an solchen Texten ist meist die Recherche - damals mit sehr wackeligem Internet - aber mit zu den schlimmsten Erfahrungen gehörte eine Doku über das Gefängnis in Tana, ich weiß noch, ich saß auf dem Fensterbrett in der Sonne (es war kalt) über unserem schönen Garten, uns ging es gut, und ich sah mir diese Doku an über eine Stadt, die nicht so weit weg war ...
Das Schreiben an sich ist nach solchen Recherchen dann eher eine Erleichterung, denn man hat die Macht, Dinge zu verändern.
Unter die Oberfläche zu tauchen – das ist das Sujet, welches sich auf vielerlei Art durch Ihren Roman zieht. Finden Sie, dass dies heute wichtiger ist als je zuvor?
Es ist immer schon wichtig gewesen, unter Oberflächen zu tauchen. Aber in der glänzenden, bunten Social-Media-Welt gibt es heute natürlich mehr Oberflächen als je zuvor, vieles scheint überhaupt nur noch aus Oberflächen zu bestehen, gerade für junge Menschen. Da kann tauchen sehr erstaunlich sein.