Im Interview mit Benedict Mirow
Lieber Herr Mirow, Sie sind erfolgreicher Regisseur und Ethnologe – eine spannende Kombination! Was hat sie dazu veranlasst, ein Kinderbuch zu schreiben und inwiefern haben Ihre beruflichen Tätigkeiten Ihr Schreiben beeinflusst?
Benedict Mirow: Ich wollte schon immer Geschichten erzählen. Geschichten, die inspirieren, wie die der Künstler in meinen Dokumentationen - oder Geschichten, die bewegen, wie die in meinen Reportagen über Kindersoldaten in Ostafrika. Ich wollte aber auch schon immer Geschichten erzählen, die mich und meine Leser träumen lassen, von magischen Welten und fantastischen Ereignissen. In einer Zeit, in der wir alle mit zum Teil erschütternden Meldungen konfrontiert werden, sehne ich mich selbst immer wieder danach, einen Ort zu finden, an dem wir – egal wie alt – Abenteuer und Freundschaft erleben können, uns gemeinsam Herausforderungen stellen müssen und dabei Spaß, voller Verrücktheiten und allerhand Albernheiten, haben dürfen. Meine Geschichten sollen dabei aber mehr sein als kleine Alltags-Fluchten. Sie sollen auch Mut machen, dass wir es durchaus schaffen können, die Probleme, die uns oft als übermächtig erscheinen, zu bewältigen: Gemeinsam, mit offenem Herzen und Rücksichtnahme. Mit Witz und der Erkenntnis, anders sein zu dürfen. Nur wenn wir uns selbst erlauben, die Welt aus anderen Blickwinkeln zu betrachten, können wir die ganzen unterschiedlichen Schattierungen wahrnehmen, die unser Leben so bunt und vielseitig machen. Immer wieder den Blickwinkel zu wechseln, neue Sichtweisen zu finden, überhaupt in Bildern zu denken, das ist natürlich meine Hauptaufgabe als Filmemacher. Ich bin mir sicher, dass mir das bei den Beschreibungen von Mistle End und der magischen Welt, in die Cedrik stolpert, geholfen hat.
Cedriks Vater im Buch hat ebenfalls einen ungewöhnlichen Beruf. Er ist Mythologe und kennt sich bestens mit magischen Kreaturen aus. Haben Sie selbst einen besonderen Bezug zur Mythologie Großbritanniens?
Benedict Mirow: Zur Mythologie allgemein, oh ja. Ich habe zum Beispiel nie aufgehört, Bäume als lebende Wesen zu betrachten, die – wie wir – zu Beziehungen fähig sind. Das hört sich verrückt an, aber wird dank engagierter Förster heute tatsächlich diskutiert. Ich liebe Bäume! Eichen ganz besonders. Und natürlich sind es in der Mythologie die Nymphen oder Dryaden, die in den Bäumen leben. In meiner Kindheit war alles beseelt, unter jeder Wurzel haben kleine Trolle gehaust. Wer kennt sie nicht, die kleinen Wichtel bei Astrid Lindgrens Ronja Räubertochter. Die gibt es doch ganz bestimmt. Oder nicht? In meiner Heimat, in Oberbayern, waren es die Perchten, wilde Alpengeister, die mir schon früh ein Gefühl für das Dunkle vermittelt haben, und als ich dann Ethnologie studiert hatte, war ich verblüfft, dass es in vielen westafrikanischen Traditionen Geister gibt, die nicht nur optisch den alpenländischen Perchten unglaublich ähnlich sind, sondern auch gesellschaftlich ganz ähnliche Funktionen erfüllen. In der Mythologie bildet sich vieles ab von dem, was uns im Leben Halt gibt, gleichzeitig dienen all die Monster und Dämonen oft genug als Projektionsfläche für die Ängste und Nöte der Menschen. Spannend!
Die sagenumwobene Landschaft der schottischen Highlands ist ein beliebtes Setting für fantastische Geschichten und hat schon viele Autoren inspiriert. Welche literarischen Einflüsse haben Sie beim Schreiben besonders geprägt?
Benedict Mirow: Ganz bestimmt die angelsächsische Tradition, J.R.R. Tolkien, C.S. Lewis, J.K. Rowling, James M. Barrie natürlich! Die üblichen Verdächtigen. Neil Gaiman, einer meiner absoluten Lieblingsautoren. Aber natürlich auch alte, nordische Märchen und Sagen, genauso wie die magischen Welten von Bruce Chatwin oder Haruki Murakami. Jess Kid, „Freund der Toten“, hat mich aktuell unglaublich beeindruckt oder „Knochenuhren“ von David Mitchell. Insofern sind es wohl auch die vielen gutenÜbersetzer, deren Talent mich geprägt hat. Bei den deutschen Autoren ist es ganz vorne Stefan Zweig, der in jungen Jahren für mich unheimlich eindrücklich war.
Die Bewohner von Mistle End haben ja alle sehr unterschiedliche magische Talente und Fähigkeiten – Emily ist eine Gestaltwandlerin, ihr Bruder Elliot ein angehender Hexenmeister und Cedrik findet heraus, dass er einer der letzten Druiden auf der Welt ist. Wenn Sie sich für eine magische Fähigkeit entscheiden müssten – welche wäre das?
Benedict Mirow: Oh, da muss ich immer sofort an den ersten Druiden meiner Kindheit denken: Miraculix, aus dem kleinen gallischen Dorf, das nicht aufgehört hat, Widerstand zu leisten. Er tunkt in einer Folge meiner heißgeliebten Asterix Comics Eicheln in einen Zaubertrank. Die Bäume schießen in den Himmel, kaum wirft man die Samen auf den Boden. Das wär’s! Hundertausende Bäume, auf einen Schlag – BAMM! Klimawandel ade! Davon träume ich noch heute. Im Ernst: Wir schaffen den Klimawandel nicht, ohne uns einzuschränken, aber Bäume pflanzen ist schon eine echte Hilfe. Da sind sich mal alle einig.
Mit „Die Chroniken von Mistle End – Der Greif erwacht“ haben Sie den ersten Band einer neuen Reihe vorgelegt. Wir sind natürlich alle schon sehr gespannt, wie es mit Cedrik und seinen Freunden weitergeht… Können Sie uns vielleicht schon das ein oder andere verraten?
Benedict Mirow: Oh, die Reise geht weiter: Hoch in den Norden, zu den Steinriesen von Callanish, genauso wie in den Süden, nach London. Viel möchte ich noch nicht verraten, es geht um dunkle Gassen voller Nebel, Zirkusartisten, Raben und Werwölfe, Gischt und Brandung, geheime Pforten, traurige Monster und natürlich Cedrik und seinen Adler. Emily und Elliot sind dabei, aber auch Crutch wird nicht fehlen. Es wird bunt, wild und ganz bestimmt anders, als es sich Cedrik vorgestellt hatte.